Schaut man in den Grundsatzerlass für die Arbeit in der Oberschule, findet sich dort folgender Passus: „Eine wesentliche Aufgabe der Schule besteht darin, die Schülerinnen und Schüler zu befähigen, sich auch in Verantwortung für die künftigen Generationen sachgerecht und aktiv […] für gute Beziehungen und Toleranz unter den Menschen verschiedener Nationen, Religionen und Kulturkreise einzutreten. Außerdem ist die Gleichberechtigung der Geschlechter durch eine Erziehung zu partnerschaftlichem Verhalten zu fördern, das einseitigen Rollenorientierungen in Familie, Beruf und Gesellschaft entgegenwirkt.“ (Quelle: RdErl. d. MK v. 7.7.2011 – 32 – 81 028- VORIS 22410)

Diese Aufgabe lässt sich  in einigen Themenbereichen am besten dadurch bewältigen, dass Schule Gelegenheiten schafft Begegnungen mit Menschen zu ermöglichen, die aus erster Hand berichten und so Empathie, Verständnis und Sensibilität für bestimmte Themen prägen können. Klasse 9bR hatte in dieser Woche gleich zweifach die Gelegenheit sich mit erfahrenen Menschen austauschen zu können. Zwei Begegnungen, zwei Themen und dennoch ein Ziel: Erfahren, verstehen, Vorurteile abbauen, Empathie „ausbauen“ und so Toleranz schaffen.

1. Begegnung

Am 05.10. begrüßten wir, organisiert durch Herrn Esser, ein Team von „SchLAu Ostfriesland“, einem ehrenamtlichen Projekt, das  Bildungs- und Aufklärungsveranstaltungen zu sexueller Orientierung und geschlechtlicher Vielfalt u.a. für Schulen anbietet. Bei der Unterrichtseinheit „Sexualität und Verhütung“ im Biologieunterricht wird dieses Themenfeld stets auch behandelt, doch so griffig und nah, wie in diesem dreistündigen „Miniworkshop“ mit den Teamern von „SchLAu“ lässt es sich sonst wohl nicht vermitteln. Die Schüler/innen machten verschiedene spielerische Übungen, mit denen sie sich dem Thema näherten und die sie zum Teil zu einem Perspektivwechsel anregten. Am beeindruckensten fanden dabei wohl alle die Erkenntnisse aus dem so genannten „Alex Spiel“. Alle Schritte wurden stets in einer Gesprächsrunde evaluiert. Neben wichtigen Begriffen wie Trans- oder Intersexualität, der Unterscheidung zwischen dem biologischen, psychischen und sozialen Geschlecht oder dem Begriff „queer“, wurden viele Fakten rund um die sexuelle Orientierung und geschlechtliche Vielfalt erarbeitet und erfragt. Am Interessantesten war es dabei für die Schüler/innen, dass die Referenten selbst über den Umgang mit ihrer eigenen sexuellen Orientierung und somit teilweise auch über ihr „Coming out“ berichteten. Hierbei war stets Platz für die Fragen der Schüler/innen.
Am Ende bleibt das Fazit: „Was uns anders erscheint, gilt es kennen und verstehen zu lernen, denn das ist die Grundlage von Toleranz und Akzeptanz. Jeder ist Mensch und hat seinen Platz in der Gesellschaft, egal wie er lebt und liebt (im emotionalen wie körperlichen Sinne).“

Wir freuen uns darauf, das SchLAu Team hoffentlich auch bald in den weiteren Klassen des 9. Jahrgangs begrüßen zu dürfen.

2. Begegnung

Am 06.10. hatten wir dann die Chance uns hautnah und aus erster Hand mit dem derzeit aktuellen Thema „Flüchtlinge in Deutschland“ zu befassen. Im Rahmen des Politikunterrichts hatte sich die Klasse in den vergangenen Wochen bereits mit Fragen und derzeit leider vorherrschenden Vorurteilen zum Thema „Flüchtlinge“ beschäftigt. Toleranzbildung und Aufklärung gleicht derzeit fasst einem Kampf gegen Windmühlen, wenn man sich die täglich, insbesondere über soziale Netzwerke wie Facebook verbreiteten Meldungen und Parolen anschaut.
Auch hier gilt einmal mehr, was man versteht und nachvollziehen kann, kann man leichter akzeptieren. Daher war es uns ein Anliegen mit Betroffenen selbst zu sprechen.

Marion Cramer, die Mutter einer unserer Schüler, ermöglichte über ihr ehrenamtliches Engagement in der Flüchtlingshilfe diesen Kontakt. Und so erhielten wir Besuch von sechs Flüchtlingen aus Detern und Filsum, die in Begleitung von Frau Cramer sowie Frau Rena Broers, einer Mitarbeiterin des Sozialamtes, zu einem Gespräch zu uns kamen.
Die Flüchtlinge berichteten uns von ihrer Situation im Heimatland, ihrer Flucht, von den Widrigkeiten auf dem Weg bis nach Deutschland und ihren Hoffnungen für die Zukunft. Kommuniziert wurde dabei in einer Mischung aus Deutsch und Englisch sowie Arabisch. An der ein oder anderen Stelle dachten die Schüler zunächst nicht richtig verstanden zu haben: „Wie zu Fuß? Den ganzen Weg?“, „Gefängnis? Wieso das denn, nur weil er ins Land gekommen ist?“, „Wieso dreimal zurückgeschickt an die türkische Grenze?“, „War er wirklich drei Tage im Wald ohne Essen und trinken?“ - Und am Ende war die Betroffenheit groß, als deutlich wurde, dass man richtig verstanden hatte.
Das Gespräch zeigte den Schüler/innen, dass ihnen Menschen wie wir gegenüber saßen. Menschen die diesen Weg ganz sicher nicht ohne Grund auf sich genommen haben. Menschen die freundlich, und aufgeschlossen sind. Die sich in die Gemeinde einzubringen versuchen und im offenen Austausch mit den Einheimischen stehen. Sechs Flüchtlinge bekamen ein Gesicht, „ der Flüchtling“ ist jetzt nicht mehr bloß ein Begriff aus den Medien, sondern ein Mensch den man kennengelernt hat.
Im späteren Feedback räumten viele Schüler/innen ein, dass dieses Gespräch geholfen habe Zweifel  auszuräumen und Meinungen zu verändern. Sätze wie „[...]aber jetzt sehe ich das irgendwie ganz anders.“ oder „Da hatte ich kurz mal Tränen in den Augen.“ zeigen vielleicht, wie wichtig es manchmal ist Begegnungen zu schaffen um zu verstehen.

Im Grunde kamen unsere Gäste übrigens zu siebt, aber streng genommen ist die kleine Dame, die uns alle so entzückte, kein Flüchtlingsmädchen sondern eine waschechte kleine Ostfriesin. Ihre Eltern hatten sich auf ihrer Flucht kennen und lieben gelernt und ihr Baby war dann später in Leer zu Welt gekommen.
Besonders erfreulich war, dass man sich gleich spontan bereit erklärte am nächsten Tag wiederzukommen und noch in zwei weiteren Klassen an Gesprächen teilzunehmen.

Am Ende bleibt hier das Fazit: „Erst verstehen und die hören, die wissen weil sie betroffen sind, dann die Aussagen und Meinungen Dritter bewerten. Am Ende ist es der einzelne Mensch, den wir sehen und der zählt.“